Reizthema "Erwartungen an 16-jährigen Stiefsohn"

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blueeyes
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Registriert: Mo 23. Apr 2007, 18:56
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Reizthema "Erwartungen an 16-jährigen Stiefsohn"

Beitrag von blueeyes »

Hallo alle,

heute bin ich zufällig auf dieses Forum gestoßen. Ich freue mich, es gefunden zu haben.

In anderen Beiträgen werden z.T. schon die Themen angesprochen, die mich auch bewegen, aber da diese teilweise zeitlich nicht mehr ganz aktuell sind, ziehe ich es vor, mich da nicht anzuhängen, sondern neu zu schreiben.

Seit 2 Jahren lebe ich mit meinem 2. Mann und dessen 16-jährigen Sohn in unserem gemeinsamen Haus. Ich selbst habe 4 Kinder (20,18,12,9 Jahre alt), die bei ihrem Vater leben.

Pubertierende Jugendliche sind mir nicht fremd - ich selbst war in dem Alter auch gut unterwegs uns meine 2 Ältesten haben es mir gleich getan.

Aber was ich hier mit meinem Stiefsohn antreffe, ist bis vor 2 Jahren über mein Vorstellungsvermögen hinaus gegangen. Inzwischen bin ich schlauer...

Er stiehlt ("nur" bei seinem Vater, nicht draußen), fügt Gegenständen in unserem Haus Schäden zu und beschuldigt meine Kinder, die uns an den Wochenenden regelmäßig besuchen, es getan zu haben und hat bereits 4 Male abgeschlossene Zimmer- bzw Wohnungstüren aufgebrochen. Regeln gelten nur für Andere, nie für ihn. Lügen ist für ihn zur zweiten Natur geworden und Verantwortung sowie Rücksichtnahme und Respekt muss er im Fremdwörterlexikon nachschlagen.

Sein Vater stellt keinerlei Forderungen an ihn - Regelverstöße werden nicht nachverfolgt ("Du weißt doch, dass das nicht so abgesprochen war.")

Es ist mir klar, dass die beiden eine gemeinsame Historie haben, die mit mir nichts zu tun hat. Daher halte ich mich aus allem, was mich nichts angeht heraus: abendlicher Zapfenstreich, Höhe des Taschengeldes, Computerspielzeiten o.ä.

Trotzdem gibt es natürlich Berührungspunkte im Verhalten des Jungen, sowie Anforderungen an ihn, die mich ebenfalls betreffen. Und genau da knallt es regelmäßig zwischem meinem Mann und mir: So gibt es z.B. die Vereinbarung, dass der Junge, wenn er sich etwas zu Essen gemacht hat, die Küche in den vorgefundenen Zustand zurück versetzt. Komme ich jedoch abends nach Hause, stehen Geschirr und Besteck in der Spüle, die Pizzapackung liegt noch da, etc. Fordere ich ihn dann auf, die Sachen wegzuräumen, fällt mein Mann mir in den Rücken: Ich solle nicht so einen Aufstand machen, es sei ja wohl kein Problem, die Sachen eben wegzuräumen. Was schließt der Junge daraus? Was die sagt, ist uninteressant - ich brauche nicht darauf zu hören.

Er ist der "Herr" über den Internetanschluss, um heute abend hier ran zu kommen, musste ich mich vorher anmelden.

Er hat kaum Sozialkontake, nur im Internet per Chatrooms, über Internetspiele etc. Die schulischen Leistungen sind überwiegend mangelhaft, das 2. Mal Sitzenbleiben steht vor der Tür. Allerdings ist er sehr intelligent und arbeitet jetzt anscheinend gerade genug, damit dieses nicht passiert.

Ich bin inzwischen ziemlich bitter in meiner Meinung dem Jungen gegenüber geworden, oft genug habe ich für eine gereichte Hand die geballte Faust ins Gesicht bekommen. Zur Zeit reiche ich ihm keine Hand mehr.

Was es in meiner Einstellung zu meinem Mann macht, besorgt mich ebenfalls: Meine Achtung vor ihm sinkt. Er lässt sich von seinem Sohn als Fußabtreter benutzen, lässt sich von ihm beschimpfen und wirklich im wörtlichen Sinne reagiert er (mein Mann) auf Pfeifbefehle seines Sohnes.

Im letzten Jahr haben wir eine Familientherapie gemacht: Die ersten 2 Sitzungen haben mein Mann und ich alleine gemacht, um erstmal zu sortieren, was uns bewegt, ab der 3. Sitzung sollte sein Sohn dabei sein. Abgesprochen war, dass er ein Mal mitkommt und dann entscheiden kann, ob er weiter mitgehen möchte. Ausreden: habs vergessen/ hab den Zug verpasst/ ach, das war heute?. Zwei Male war er dabei, wir habens dann dran gegeben, weil wir grundsätzlich - zumindest in der Theorie - einer Meinung waren.

Regelmäßig gibt es zwischen meinem Mann und seinem Sohn heftige Diskussionen: 20% Fehltage in der Schule, versiebte Klassenarbeiten, eben alles, was auch in anderen Familien zur Tagesordnung gehört. Da spricht der Vater dann natürlich auch Konsequenzen an, die aber nie folgen. Das heißt, der Junge erfährt nicht, was seine Aktionen und Handlungen für Folgen haben können, er hat keinerlei Reibungspunkte, an denen er wachsen kann.

Beispielsweise beträgt offiziell die Computerspielzeit während der Woche bis 20Uhr, vor 22Uhr wird selten abgeschaltet, wenn dann nur, um übergangslos vor den Fernsehbildschirm zu wechseln. Am Wochenende max. 9 Stunden insgesamt, in der Praxis sind es 12-15 Stunden pro Tag + Fernsehen.

Fürs "Blaumachen" gibts regelmäßig Entschuldigungen, wenn der Tank vom Roller leer ist, fährt Papa mit einem Kanister zur Tankstelle und fährt diesem dann Sohnemann hinterher, damit er - wo immer er auch gerade gestrandet ist- seinen Tank füllen kann.

Ok, ihr seht, es hat sich so viel bei mir aufgebaut, dass ich es schon nicht mehr sortiert auf den Bildschirm bringen kann.

Die Mutter spielt auch eine große Rolle: Sie unterläuft so ziemlich alles, was der Vater ansatzweise versucht, in irgendwelche Bahnen zu lenken: Ausgehverbot am Samstag, weil Hausaufgaben noch nicht fertig, wird gekippt; sein Rezept für sein Asthmamedikament abzuholen, kann man doch nicht ernstahft von ihm verlangen...

Inzwischen reden mein Mann und ich nicht mehr über den Jungen, allerdings kommt es manchmal bei mir hoch, besonders, wenn ich diese fruchtlosen Diskussionen höre, wenn mein Mann tagelang schlecht gelaunt ist, weil wieder mal ein Anruf von der Schule kam, wenn Mutter anruft, weil das arme Kind hier so furchtbar behandelt wird, u.s.w.

Mein Mann redet jetzt davon, alleine eine Gesprächstherapie zu beginnen, weil er - wie ich - der Ansicht ist, dass wir bei diesem Thema nicht zusammen kommen. Die Gründe dafür sind allerdings unterschiedlich: In seinen Augen bin ich seinem Sohn gegenüber so ablehnend eingestellt, dass Reden nichts mehr bringt, ich finde dagegen, er redet zu viel (hofft bei dem Kind auf logische Einsicht) und handelt nicht.

So, jetzt habe ich mir den Frust runtergeschrieben, vielleicht hat ja jemand ein Trostwort, einen Tipp, einen Augenöffner oder sonst was.

Würde mich freue, was von euch zu hören, ciao, blueeyes
Jette
Beiträge: 4
Registriert: Mo 23. Apr 2007, 10:16
Wohnort: Berlin

Beitrag von Jette »

Hallo Blueeyes,
zum Teil kann ich Deinen Frust sehr gut nachvollziehen. Bei uns ist es ähnlich. Die Mädchen 14 und 18 sind zwar was ihre Schularbeiten betreffen sehr fleißig aber wir haben auch zu springen wenn sie nur mit dem Finger schnipzen. Unsere ganze Familienplanung läuft nur mit Zustimmung der Mädchen. z.B. Weihnachtsfeier unseres 16 Moante alten Sohnes - Papa kommt nicht und Mama muss nach einer Stunde gehen da ja die Tochter zum Tennis muss uns das ist wichtiger. Oder Ostern die Mutter fährt in den Urlaub die Kinder bleiben natürlich bei uns Eigentlich wollten wir über Ostern zu meiner Mutter fahren aber das wollten die Kinder nicht. Früher wäre ich auch zuhause geblieben aber diesmal nicht Ich bin mit meinem Sohn gefahren. mein mann hatte damit nicht gerechnet. Ich habe für mich entschieden mich nunlangsam zu lösen mit meinem Sohn eigene Dinge Unternehmungen durchzuführen. Das gefällt meinem Mann natürlich auch nicht und so kommt es zum Streit. Ein Rezept habe ich leider auch nicht - bräuchte acuh dringend selbst eines da mein Mann nicht mit sich reden lässt. Die Kinder (Mädchen sind Heilig) sie zu kritisieren kommt einem Staatsverrat gleich. Die sind unantasbar.
Manchmal denke ich an Scheidung aber dann hat mein Sohn ja das gleiche Schi ksal aber so kann es auch nicht weiter gehen
Ich kann nur sagen das es für mich wenigstens eine kleine Hilfe ist das ich mit diesem Problem nicht allein bin. Na toll
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Thomas Gerling-Nörenberg
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Antwort an Blueeyes

Beitrag von Thomas Gerling-Nörenberg »

Hallo Blueeyes,
ermutigend finde ich Ihr Engagement in unserem Forum. Danke für die Beteiligung.

Sie scheinen ja schon einiges an Erfahrung bzgl. Patchworkfamilien gemacht zu haben. Auch die Familientherapie hat, denke ich, weitergeholfen, oder?

Habe ich das richtig verstanden, dass Ihr Stiefsohn oder ich nenne die Kindes der Partners "Patchworksohn" bei Ihnen wohnen und Ihre Kinder bei Ihrem Exehemann.

Nach dem Beschreiben Ihrer Situation fallen mir folgende Themen auf:

Sind Sie damals zu Ihrem jetzigen Ehemann gezogen, oder sind Sie gemeinsam in eine "neue" Wohnung gezogen. Falls Sie zu Ihrem jetzigen Mann und dessen Sohn gezogen sind, könnte dies Ihr Stiefsohn als "eindringen" in "sein Reich" verstehen. Vielleicht könnte Sie dies mit ihrem Mann und dessen Sohn noch mal betrachten.

Vor zwei Jahren war Ihr Stiefsohn 14 Jahre - also wahrscheinlich voll in der Pubertät. In dieser Zeit beginnt meist die starken Auseinandersetzungen der Heranwachsenden mit Ihren Eltern, was ja zum Erproben der Ablösung und Selbständigkeit eine gute Voraussetzung ist. Sie sind jedoch zu einer sensiblen Zeitphase - auch anstelle der Kindesmutter - mit in diese anstrengende Zeitperiode gerückt. Von Ihren leiblichen Kindern kennen Sie das ja - aber so bekommen Sie wahrscheinlich nur die "negativen Anteile" des Reifens mit - Sie sind im Fokus des Agierens des jungen Mannes. Die "entfernte" leiblich Mutter ist da eher im Hintergrund.

Beim Thema Stehlen ist es ja für die Entwicklung des Jungen gut, dass er dies "nur" zu Hause macht und nicht "draußen", denn dies wäre für die Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen viel schwieriger. Auch wenn diese Situation für den Vater und Sie schlecht auszuhalten ist. In meiner Beratung frage ich mich immer, warum stiehlt das Kind? Was fehlt ihm? Meisst fehlt etwas anderes als dass was er sich verbotener weise nimmt. Meisst fühlen sich diese Kinder überhaupt nicht verstanden. Dieses Verständnis sollte von den Eltern kommen. Vielleicht ist der Junge über die Trennung und die davorliegende Zeit der Streitigkeiten seiner Eltern mit seinen Bedürfnissen sehr in den Hintergrund geraten. Er ist vielleicht kaum gesehen worden und war starken emotionalem Mangel ausgesetzt. Vielleicht versucht er, aus diesem Grund, sein Selbstwert wieder herzustellen - auch wenn wir wissen, das dies so nicht funktioniert. Aber vielleicht sollten Sie mit Ihrem Partner die Situation so einmal erörtern.

Das Lügen ist meines Erachtens auch in der Regel mit einem schwachen Selbstwert verbunden. Ähnlich wie beim Stehlen, übernimmt der der lügt, keinerlei Verantwortung für sein Tun. Daher sollte eher überlegt werden, wie Ihr Stiefsohn seinen Selbstwert aufbauen kann. Nun sind da in erster Linie die leiblichen Eltern gefragt. Diese sollten sich zusammen tun, um zu überlegen, wie sie ihren Sohn unterstützen können. So wie Sie berichten, reagieren Sie aus meiner Sicht richtig, sich eher von dieser Problematik zu distanzieren, denn der Vater und die Mutter sind für ihren Sohn zuständig - sie haben das Sorgerecht und die Sorgepflicht für ihr Kind. Ich denke, Sie haben ja auch mit Ihren vier Kindern genug Sorgen, oder? - Aber wichtig ist dennoch, dass auch Ihr Stiefsohn Respekt vor Ihnen als der Partnerin seines Vaters haben muss. Dafür und für diese Grenzsetzung müssen Sie auch sorgen...

Wie ich schon öfter geschrieben habe, ist die Kommunikation, das Reden über das "Patchwork" in diesen Familien das A und O. Aber dass machen Sie ja - und geben Sie nicht auf, auch mit Ihrem Mann im Gespräch zu bleiben.

Alles in Allem ist es ein schwieriger Alltag in der Patchworkfamilie. Aber ich glaube, Sie sind auf dem Guten Weg - und mit 16 Jahren ist das Schlimmste ja schon bald geschafft - vielleicht nocht 1 1/2 Jahre, dann wirds wahrscheinlich leichter, denn das Gehirn reift ja mit, so dass Ihr Stiefsohn irgendwann spürt, dass Sie sich für Ihn eingesetzt haben.

Frohen Gruß und bleiben Sie weiterhin so engagiert, denn welcher Einsatz trägt ehrenvollere Früchte, als das, was wir bei unseren Kindern bewirken

Thomas Gerling-Nörenberg
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